Psychologische Gutachten im Familienrecht

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Leitlinien für psychologische Gutachten im Familienrecht

Einleitung

Kindesschutzbehörden und Gerichte («Auftraggeberin») treffen Entscheidungen, wenn eine Kindeswohlgefährdung nicht anders abgewendet werden kann. Wenn die Sachkunde der Auftraggeberin dafür nicht ausreicht, werden Gutachten in Auftrag gegeben. Aus verschiedenen Gründen braucht es dafür Leitlinien1:

1. Entscheidungen auf der Grundlage von Gutachten greifen tief in die Biografie von Menschen und Familien ein.

2. Familienrechtliche Gutachten sind komplex, Leitlinien vermitteln dabei Orientierung.

3. liegt in der Natur der Sache, dass Empfehlungen der Gutachten strittig sein und auf Kritik der Beteiligten stossen können. Leitlinien geben Sicherheit und können Es deeskalierend wirken.

4. Leitlinien sind eine Basis für eine selbstreflexive Haltung und damit für eine Fehlerkultur.

5. Sie tragen, wo notwendig, zur Beurteilung der Expertentätigkeit bei.

6. Für die Schweiz fehlen verbindliche Vorgaben zu familienrechtlichen Gutachten. Während bestehende Leitlinien der APA nur für Psychologinnen gelten, beschreiben die deutschen Mindestanforderungen (AG Familienrechtliche Gutachten 2015 & 2019) und die der AFCC (2006) Anforderungen für die Sachverständigen und die Auftraggebenden.

1 Die Leitlinien werden unterstützt von der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen FSP der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie SKJP und der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtspsychologie SGRP.

Begriffserklärungen

Leitlinien

Ziel von Leitlinien ist es, Expertise sicherzustellen (APA 2013a). In Anlehnung an internationale Empfehlungen erhalten Leitlinien gegenüber Standards den Vorzug, weil das Feld familienrechtlicher Gutachten eine enorme Breite von Fragestellungen umfasst und komplex ist. Der Begriff «Standard»» würde suggerieren, dass es ein­fache Checklisten gibt, was nicht der Fall und kein Mangel ist: Leitlinien geben eine Richtung vor, haben aber keinen Vorrang vor der psychologischen Beurtei­lung und lassen Spielräume für die Anwendung im Einzelfall offen. Die Tatsache, dass der Begriff «Kindeswohl» ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, verweist auf diesen kontextbezogenen Charakter (Dettenborn 2017). Es geht bei Leitlinien um «konstitutive Regeln», also Regeln, die eine Tätigkeit erst ermöglichen und nicht um starre «wenn-dann Regeln» («regulative Regeln»; Searle 2015, 1479), Trotz dieser Spielräume haben Leitlinien Verbindlichkeit, weil sie Mindestanforderungen für alle familienrechtliche Gutachten definieren (AG Familienrechtliche Gutachten 2015 & 2019).

Gutachten

Ein psychologisches Gutachten ist «ein wissenschaftliches Produkt in Form eines schriftlichen (…) Berichts. Es nutzt Verfahren, die auf der Psychologie als Wissenschaft aufbauen. Diese Verfahren dienen der Sammlung und Verdichtung von Informationen über die zu begutachtende Person mit dem Ziel, eine Antwort auf eine Fragestellung des Auftraggebers zu finden» (Kubinger & Westhoff 2014, 1337). In Bezug auf familienrechtliche Begutachtung muss man ergänzen, dass auch Nachbardisziplinen einbezogen werden müssen. Weiter geht es nicht nur um Personen, sondern auch um deren Beziehungen, die familiäre Dynamik und die Kooperation mit dem Umfeld (z.B. Schule). Der systemische Aspekt ist ein Unterschied zum erwachsenenforensischen Gutachten.

Unterschieden werden zwei Arten von Gutachten: Das klassische familienrechtliche Gutachten ist entscheidungsorientiert, stellt der Auftraggeberin Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung. Die Sachverständigen sollen das erarbeiten und interpretieren, was die Auftraggeberin aus der bestehenden Faktenlage selber nicht wissen und folgern kann (Westhoff & Kluck, 2014). Davon wiederum unterschieden werden prozesslösungs- oder interventionsorientierte Gutachten (Lübbehüsen & Kolbe 2009): Nach einer ersten diagnostischen Phase wird nach Absprache mit den Exploranden und der Auftraggeberin eine Interventionsphase eingeschoben und evaluiert. Daraus ergeben sich Empfehlungen, die verfügt werden können Eine Intervention kann beispielsweise eine Beratung, ein Mediationsversuch, das Ausprobieren eines Wechselmodells, einer Besuchsregelung oder einer sozialpädagogischen Familienbegleitung sein.

Behörde: Indikation, Auftragserteilung und Rahmengebung

Stellen der Indikation