Rechtskraftbescheinigung: Unterschied zwischen den Versionen

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Vor Aufnahme des beistandschaftlichen Mandats bedarf es einer rechtskräftigen Massnahme und einer rechtskräftigen Ernennung als Beistandsperson. In der Regel tritt die Rechtskraft ein mit unbenutztem Ablauf der Beschwerdefrist. Diese Frist braucht dann nicht abgewartet zu werden, wenn die KESB zum vorneherein einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen hat, wenn die Beschwerdeberechtigten auf die Beschwerde ausdrücklich verzichten oder aufgrund der Sachlage eine Beschwerdeführung ausgeschlossen scheint. Der Legitimationsausweis der Beistandsperson besteht in der Praxis nicht aus einem Entscheid der KESB mit einer Rechtskraftbescheinigung (Art. 336 Abs. 2 ZPO), sondern aus einer im Gesetz nicht explizit vorgesehenen [[Ernennungsurkunde]], welche die KESB ausstellt, sobald sie das angeordnete Mandat für vollziehbar hält. Weil Beistandsperson und Dritte in diese (Ernennungs-)Urkunde absolutes Vertrauen setzen müssen, darf sie von der KESB nur in risikolosen Ausnahmefällen vor Eintritt der Rechtskraft ausgehändigt werden.<ref name="Kurt Affolter-Fringeli">Aus der Beratungspraxis der SVBB: Kurt Affolter-Fringeli, Fürsprecher und Notar, Ligerz</ref>
 
Vor Aufnahme des beistandschaftlichen Mandats bedarf es einer rechtskräftigen Massnahme und einer rechtskräftigen Ernennung als Beistandsperson. In der Regel tritt die Rechtskraft ein mit unbenutztem Ablauf der Beschwerdefrist. Diese Frist braucht dann nicht abgewartet zu werden, wenn die KESB zum vorneherein einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen hat, wenn die Beschwerdeberechtigten auf die Beschwerde ausdrücklich verzichten oder aufgrund der Sachlage eine Beschwerdeführung ausgeschlossen scheint. Der Legitimationsausweis der Beistandsperson besteht in der Praxis nicht aus einem Entscheid der KESB mit einer Rechtskraftbescheinigung (Art. 336 Abs. 2 ZPO), sondern aus einer im Gesetz nicht explizit vorgesehenen [[Ernennungsurkunde]], welche die KESB ausstellt, sobald sie das angeordnete Mandat für vollziehbar hält. Weil Beistandsperson und Dritte in diese (Ernennungs-)Urkunde absolutes Vertrauen setzen müssen, darf sie von der KESB nur in risikolosen Ausnahmefällen vor Eintritt der Rechtskraft ausgehändigt werden.<ref name="Kurt Affolter-Fringeli">Aus der Beratungspraxis der SVBB: Kurt Affolter-Fringeli, Fürsprecher und Notar, Ligerz</ref>
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Entscheide der KESB, insbesondere die Anordnung einer Massnahme und die Ernennung einer Beistandsperson, sind den Betroffenen und allenfalls interessierten Dritten oder Amtsstellen und Behörden (Art. 449c ZGB) zu eröffnen (Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 239 ZPO; § 59 EG KESR ZH; BSK ZGB I-Reusser, Art. 450b N 9). Dem Entscheid in kindes- und erwachsenenschutzrechtlichen Belangen ist in aller Regel eine Begründung anzufügen (§ 59 EG KESR ZH; BGer 5A_732/2014 vom 26.02.2015 E. 3.1). Danach haben die am Verfahren beteiligten Personen, die der betroffenen Person nahestehenden Personen und Personen, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides geltend machen können, die Möglichkeit, innert 30 Tagen beim kantonal zuständigen Gericht Beschwerde zu führen (Art. 450 ZGB). Ausgenommen davon sind superprovisorische Massnahmen (BGE140 III 289 E. 2, was allerdings nicht unumstritten ist, vgl. BSK ZGB I-Maranta/Auer/Marti, Art. 445 N 30; BSK ZGB I-Droese/Steck, Art. 450 N 21). Bei dieser Beschwerde handelt es sich um ein devolutives Rechtsmittel (BSK ZGB I-Droese/Steck, Art. 450 N 11). Mit der Anfechtung geht das Verfahren mit den vollständigen Akten auf die Rechtsmittelinstanz über. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (abgesehen von Verfahren über die fürsorgerische Unterbringung, Art. 430 Abs. 3 ZGB), sofern die Ärztin oder der Arzt, die KESB selbst oder die gerichtliche Beschwerdeinstanz nichts anderes verfügt (Art. 450c ZGB).
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Für die KESB und die Beistandspersonen besteht aufgrund dieser gesetzlichen Regelungen kein Zweifel, dass die Grundlage eines beistandschaftlichen Mandats immer eine formell rechtskräftige Massnahmenanordnung und eine rechtskräftige Ernennung der Beistandsperson ist. Kann die Frist, welche bis zum Eintritt der Rechtskraft verstreicht und welche je nach Konstellation (z.B. Nichterreichbarkeit der zu verbeiständenden Person) sehr unterschiedlich ausfallen kann, aufgrund der auf dem Spiel stehenden Interessen nicht abgewartet werden, hat die KESB entweder bereits während des Abklärungsverfahrens vorsorgliche Massnahmen anzuordnen (Art. 445 ZGB, § 44 Abs. 2 EG KESR ZH) oder einer allfälligen Beschwerde gegen den Massnahmen- oder Ernennungsentscheid zum Voraus die aufschiebende Wirkung zu entziehen (Art. 450c ZGB). Das sind die einzigen Möglichkeiten, eine Beistandsperson ohne Abwarten der Beschwerdefrist ihr Mandat unmittelbar nach Ernennung aufnehmen zu lassen, ohne dass sie das Risiko einer Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 419 ff. OR) oder einer Amtsanmassung (Art. 287 StGB) eingeht.
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Das Gesetz schweigt sich darüber aus, über welchen konkreten Arbeitsprozess und über welchen Legitimationsausweis einer Beistandsperson ihr Amt von der KESB übertragen wird (Art. 405 ff. ZGB, § 15 EG KESR ZH). Denkbar wäre, nach Eintritt der Rechtskraft der Beistandsperson den Entscheid nochmals zuzustellen, und zwar mit einer Rechtskraftbescheinigung (Art. 336 Abs. 2 ZPO). Soweit erkennbar, ist ein solches Vorgehen nicht gängig. Bereits in der Praxis des alten Vormundschaftsrechts, also aufgrund einer mittlerweile 108-jährigen Erfahrung, hat sich die (im Gesetz nicht erwähnte) Ernennungsurkunde als Legitimationspapier eingebürgert (Mathias Mauchle, Das Rechtsverhältnis zwischen dem Beistand und der Erwachsenenschutzbehörde, Diss. 2019 S. 174 Rz. 365; Kurt Affolter, Vertretungsbefugnisse vormundschaftlicher Mandatsträger/innen und Erfordernis nach gewillkürter Vollmacht, ZVW 2008 S. 337 ff. E. 4). Mit der Ernennungsurkunde bescheinigt die KESB die gesetzliche Vollmacht der Beistandsperson, kraft ihres Amtes im Rahmen ihrer massgeschneiderten Zuständigkeiten ab einem bestimmten Datum die verbeiständete Person zu verpflichten und deren Rechte zu wahren (Art. 394 Abs. 3 ZGB). Insbesondere bedarf es keiner zusätzlichen Vollstreckungsverfügung, weil die rechtskräftig eingesetzte Beistandsperson kraft ihrer Ernennung ihres Amtes walten kann (BSK ZGB I-Affolter, Art. 450g N 30; KOKES-Praxisanleitung Erwachsenenschutzrecht, Rz. 1.212). Dritte müssen im Rechtsverkehr darauf vertrauen können, dass die Ernennungsurkunde gültig ist und nicht unter einer aufschiebenden Bedingung (in der Zukunft liegender Eintritt der Rechtskraft) steht.
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Zur Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Ernennungsurkunde auszustellen sei, können neben den Überlegungen, dass nur wahre Tatsachen einer Bescheinigung zugänglich sind, auch die Bestimmungen über die Mitteilungspflichten für die KESB handlungsanleitend sein. Gemäss Art. 449c ZGB hat die KESB die Mitteilungen an interessierte Dritte, betroffene Ämter und Behörden vorzunehmen, sobald ihre Entscheide vollstreckbar geworden sind. Gemeint ist damit, dass die Entscheide keiner Beschwerde mehr zugänglich sind. Keiner Beschwerde mehr zugänglich sind Entscheide (BK-Sterchi, Art. 315 ZPO N 2),
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# wenn die Beschwerdefrist unbenutzt abgelaufen ist (zu Fristen und Fristen­lauf s. KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, Rz. 5.88 ff. und BGer 5A_187/2017 vom 20.07.2017 sowie BGer 5A_1052/2017 vom 10.01.2018),
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# die Beschwerdeberechtigten nach Erhalt des Entscheides den Verzicht auf die Einlegung einer Beschwerde erklärt haben,
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#eine Beschwerde zurückgezogen worden ist,
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# bei Dahinfallen des Rechtsmittels (z.B. zufolge Nichtbezahlung des Kostenvorschusses).
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Wollen sich KESB und Beistandsperson auf der formell sicheren Seite bewegen, lässt sich aufgrund des Gesagten das Zwischenfazit ziehen, dass die KESB die Ernennungsurkunde der Beistandsperson erst ausstellt, wenn die Massnahme beziehungsweise die Ernennung der Beistandsperson vollstreckbar geworden ist. Ob dies der Fall ist und wann dies der Fall ist, kann aufgrund ihres Eröffnungsmonopols (Art. 238 ff. ZPO, § 59 EG KESR ZH), ihres Eröff­nungsinstrumentariums (KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, Rz. 5.85 – 5.95) und ihrer Geschäftskontrolle allein die KESB feststellen (vgl. zum Fall des Postrückbehaltungsauftrages BGer 5A_1052/2017 vom 10.01. 2018). Es ist ihr deshalb auch davon abzuraten, die Entscheideröffnung an die betroffene Person der noch nicht rechtskräftig eingesetzten Beistandsperson zu delegieren (Kurt Affolter-Fringeli, Eröffnung von KESB-Entscheiden mittels Beistandsperson, Kommentar zu BGer 5A_232/2018 vom 30.04.2018, in: dRSK, publiziert am 30. Mai 2018). Es kann auch nicht der Beistandsperson überlassen bleiben, eine ungefähre Annahme zu treffen, wann der massgebliche Entscheid in Rechtskraft erwachsen sei und sie damit legitimiert wird, von einer aufschiebend bedingten Ernennungsurkunde Gebrauch zu machen. Bei der Rechtskraft handelt es sich nicht um ein ungefähres, sondern ein konkretes Datum, das für die Gültigkeit der Rechtshandlungen einer Beistandsperson und für die Bindung der verbeiständeten Person (Art. 394 Abs. 3 ZGB) ausschlaggebend ist.
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Erweisen sich die theoretischen und formellen Anforderungen an die Ermächtigung einer Beistandsperson als einigermassen klar und wenig diskutabel, können sich aus Praktikabilitätsgründen auch andere Praxen etablieren. Allerdings erweist sich nicht jede von den formellen Anforderungen abweichende pragmatische Lösung auch als effizient, weil die «Reparatur» unzulässiger Vorgänge oft wesentlich mehr Aufwand (z.B. Widerruf der Ernennungsurkunde, Rückabwicklung von hinkenden oder ungültigen Rechtsgeschäften oder disziplinarische und strafrechtliche Implikationen, Rückgängigmachung einer Falleröffnung in der Geschäftskontrolle einer Berufsbeistandschaft) nach sich zieht als ein von Anfang an korrektes Vorgehen. Die von der KESB geäusserte Vorstellung, eine Beistandsperson könne nach nachträglicher Mitteilung einer erhobenen Beschwerde ihre Arbeit wieder sistieren und das Beschwerdeergebnis abwarten, birgt das soeben angesprochene «Reparatur»-Risiko in sich. Dagegen scheint es entbehrlich, in allen Fällen den Ablauf der Beschwerdefrist (regelmässig 30 Tage plus Abholfristen, vgl. KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, Rz. 5.88 ff.) abzuwarten, bis eine Ernennungsurkunde ausgestellt wird. Abgesehen von der Möglichkeit, die beschwerdeberechtigten Personen zu einem schriftlichen Beschwerdeverzicht zu bewegen, können in Fällen, in welchen nach menschlichem Ermessen nicht mit einer Beschwerde zu rechnen ist und die KESB daher einen Beschwerdeverzicht mit gutem Grund supponieren kann (z.B. Massnahmenanordnung und Ernennung der Beistandsperson aufgrund eines Gesuchs der betroffenen Person und Einvernehmen innerhalb des familiären und sozialen Umfeldes oder Fehlen eines solchen Umfeldes) im Interesse einer beschleunigten Hilfestellung auch vorzeitig Ernennungsurkunden ausgestellt werden, ohne dass einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen werden muss. Es liegt im Ermessen und Verantwortungsbereich der KESB, in so gelagerten Fällen Ernennungsurkunden auszustellen und die damit verbundenen, oben skizzierten «Reparatur-Risiken» zu tragen. Die Beistandsperson muss diesfalls aber davon ausgehen können, dass ihr vorzeitiges Handeln für sie ohne Risiko bleibt, was eine gute und vertrauensvolle Kommunikation zwischen KESB und BB bedingt und transparent als Ausnahmesituation verstanden wird.
  
 
== Einzelnachweise ==
 
== Einzelnachweise ==
 
<references />
 
<references />

Aktuelle Version vom 23. Juni 2020, 13:04 Uhr

Rechtskraftbescheinigung für die Mandatsaufnahme der Beistandsperson

Vor Aufnahme des beistandschaftlichen Mandats bedarf es einer rechtskräftigen Massnahme und einer rechtskräftigen Ernennung als Beistandsperson. In der Regel tritt die Rechtskraft ein mit unbenutztem Ablauf der Beschwerdefrist. Diese Frist braucht dann nicht abgewartet zu werden, wenn die KESB zum vorneherein einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen hat, wenn die Beschwerdeberechtigten auf die Beschwerde ausdrücklich verzichten oder aufgrund der Sachlage eine Beschwerdeführung ausgeschlossen scheint. Der Legitimationsausweis der Beistandsperson besteht in der Praxis nicht aus einem Entscheid der KESB mit einer Rechtskraftbescheinigung (Art. 336 Abs. 2 ZPO), sondern aus einer im Gesetz nicht explizit vorgesehenen Ernennungsurkunde, welche die KESB ausstellt, sobald sie das angeordnete Mandat für vollziehbar hält. Weil Beistandsperson und Dritte in diese (Ernennungs-)Urkunde absolutes Vertrauen setzen müssen, darf sie von der KESB nur in risikolosen Ausnahmefällen vor Eintritt der Rechtskraft ausgehändigt werden.[1]

Entscheide der KESB, insbesondere die Anordnung einer Massnahme und die Ernennung einer Beistandsperson, sind den Betroffenen und allenfalls interessierten Dritten oder Amtsstellen und Behörden (Art. 449c ZGB) zu eröffnen (Art. 450f ZGB i.V.m. Art. 239 ZPO; § 59 EG KESR ZH; BSK ZGB I-Reusser, Art. 450b N 9). Dem Entscheid in kindes- und erwachsenenschutzrechtlichen Belangen ist in aller Regel eine Begründung anzufügen (§ 59 EG KESR ZH; BGer 5A_732/2014 vom 26.02.2015 E. 3.1). Danach haben die am Verfahren beteiligten Personen, die der betroffenen Person nahestehenden Personen und Personen, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheides geltend machen können, die Möglichkeit, innert 30 Tagen beim kantonal zuständigen Gericht Beschwerde zu führen (Art. 450 ZGB). Ausgenommen davon sind superprovisorische Massnahmen (BGE140 III 289 E. 2, was allerdings nicht unumstritten ist, vgl. BSK ZGB I-Maranta/Auer/Marti, Art. 445 N 30; BSK ZGB I-Droese/Steck, Art. 450 N 21). Bei dieser Beschwerde handelt es sich um ein devolutives Rechtsmittel (BSK ZGB I-Droese/Steck, Art. 450 N 11). Mit der Anfechtung geht das Verfahren mit den vollständigen Akten auf die Rechtsmittelinstanz über. Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (abgesehen von Verfahren über die fürsorgerische Unterbringung, Art. 430 Abs. 3 ZGB), sofern die Ärztin oder der Arzt, die KESB selbst oder die gerichtliche Beschwerdeinstanz nichts anderes verfügt (Art. 450c ZGB).

Für die KESB und die Beistandspersonen besteht aufgrund dieser gesetzlichen Regelungen kein Zweifel, dass die Grundlage eines beistandschaftlichen Mandats immer eine formell rechtskräftige Massnahmenanordnung und eine rechtskräftige Ernennung der Beistandsperson ist. Kann die Frist, welche bis zum Eintritt der Rechtskraft verstreicht und welche je nach Konstellation (z.B. Nichterreichbarkeit der zu verbeiständenden Person) sehr unterschiedlich ausfallen kann, aufgrund der auf dem Spiel stehenden Interessen nicht abgewartet werden, hat die KESB entweder bereits während des Abklärungsverfahrens vorsorgliche Massnahmen anzuordnen (Art. 445 ZGB, § 44 Abs. 2 EG KESR ZH) oder einer allfälligen Beschwerde gegen den Massnahmen- oder Ernennungsentscheid zum Voraus die aufschiebende Wirkung zu entziehen (Art. 450c ZGB). Das sind die einzigen Möglichkeiten, eine Beistandsperson ohne Abwarten der Beschwerdefrist ihr Mandat unmittelbar nach Ernennung aufnehmen zu lassen, ohne dass sie das Risiko einer Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 419 ff. OR) oder einer Amtsanmassung (Art. 287 StGB) eingeht.

Das Gesetz schweigt sich darüber aus, über welchen konkreten Arbeitsprozess und über welchen Legitimationsausweis einer Beistandsperson ihr Amt von der KESB übertragen wird (Art. 405 ff. ZGB, § 15 EG KESR ZH). Denkbar wäre, nach Eintritt der Rechtskraft der Beistandsperson den Entscheid nochmals zuzustellen, und zwar mit einer Rechtskraftbescheinigung (Art. 336 Abs. 2 ZPO). Soweit erkennbar, ist ein solches Vorgehen nicht gängig. Bereits in der Praxis des alten Vormundschaftsrechts, also aufgrund einer mittlerweile 108-jährigen Erfahrung, hat sich die (im Gesetz nicht erwähnte) Ernennungsurkunde als Legitimationspapier eingebürgert (Mathias Mauchle, Das Rechtsverhältnis zwischen dem Beistand und der Erwachsenenschutzbehörde, Diss. 2019 S. 174 Rz. 365; Kurt Affolter, Vertretungsbefugnisse vormundschaftlicher Mandatsträger/innen und Erfordernis nach gewillkürter Vollmacht, ZVW 2008 S. 337 ff. E. 4). Mit der Ernennungsurkunde bescheinigt die KESB die gesetzliche Vollmacht der Beistandsperson, kraft ihres Amtes im Rahmen ihrer massgeschneiderten Zuständigkeiten ab einem bestimmten Datum die verbeiständete Person zu verpflichten und deren Rechte zu wahren (Art. 394 Abs. 3 ZGB). Insbesondere bedarf es keiner zusätzlichen Vollstreckungsverfügung, weil die rechtskräftig eingesetzte Beistandsperson kraft ihrer Ernennung ihres Amtes walten kann (BSK ZGB I-Affolter, Art. 450g N 30; KOKES-Praxisanleitung Erwachsenenschutzrecht, Rz. 1.212). Dritte müssen im Rechtsverkehr darauf vertrauen können, dass die Ernennungsurkunde gültig ist und nicht unter einer aufschiebenden Bedingung (in der Zukunft liegender Eintritt der Rechtskraft) steht.

Zur Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Ernennungsurkunde auszustellen sei, können neben den Überlegungen, dass nur wahre Tatsachen einer Bescheinigung zugänglich sind, auch die Bestimmungen über die Mitteilungspflichten für die KESB handlungsanleitend sein. Gemäss Art. 449c ZGB hat die KESB die Mitteilungen an interessierte Dritte, betroffene Ämter und Behörden vorzunehmen, sobald ihre Entscheide vollstreckbar geworden sind. Gemeint ist damit, dass die Entscheide keiner Beschwerde mehr zugänglich sind. Keiner Beschwerde mehr zugänglich sind Entscheide (BK-Sterchi, Art. 315 ZPO N 2),

  1. wenn die Beschwerdefrist unbenutzt abgelaufen ist (zu Fristen und Fristen­lauf s. KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, Rz. 5.88 ff. und BGer 5A_187/2017 vom 20.07.2017 sowie BGer 5A_1052/2017 vom 10.01.2018),
  2. die Beschwerdeberechtigten nach Erhalt des Entscheides den Verzicht auf die Einlegung einer Beschwerde erklärt haben,
  3. eine Beschwerde zurückgezogen worden ist,
  4. bei Dahinfallen des Rechtsmittels (z.B. zufolge Nichtbezahlung des Kostenvorschusses).

Wollen sich KESB und Beistandsperson auf der formell sicheren Seite bewegen, lässt sich aufgrund des Gesagten das Zwischenfazit ziehen, dass die KESB die Ernennungsurkunde der Beistandsperson erst ausstellt, wenn die Massnahme beziehungsweise die Ernennung der Beistandsperson vollstreckbar geworden ist. Ob dies der Fall ist und wann dies der Fall ist, kann aufgrund ihres Eröffnungsmonopols (Art. 238 ff. ZPO, § 59 EG KESR ZH), ihres Eröff­nungsinstrumentariums (KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, Rz. 5.85 – 5.95) und ihrer Geschäftskontrolle allein die KESB feststellen (vgl. zum Fall des Postrückbehaltungsauftrages BGer 5A_1052/2017 vom 10.01. 2018). Es ist ihr deshalb auch davon abzuraten, die Entscheideröffnung an die betroffene Person der noch nicht rechtskräftig eingesetzten Beistandsperson zu delegieren (Kurt Affolter-Fringeli, Eröffnung von KESB-Entscheiden mittels Beistandsperson, Kommentar zu BGer 5A_232/2018 vom 30.04.2018, in: dRSK, publiziert am 30. Mai 2018). Es kann auch nicht der Beistandsperson überlassen bleiben, eine ungefähre Annahme zu treffen, wann der massgebliche Entscheid in Rechtskraft erwachsen sei und sie damit legitimiert wird, von einer aufschiebend bedingten Ernennungsurkunde Gebrauch zu machen. Bei der Rechtskraft handelt es sich nicht um ein ungefähres, sondern ein konkretes Datum, das für die Gültigkeit der Rechtshandlungen einer Beistandsperson und für die Bindung der verbeiständeten Person (Art. 394 Abs. 3 ZGB) ausschlaggebend ist.

Erweisen sich die theoretischen und formellen Anforderungen an die Ermächtigung einer Beistandsperson als einigermassen klar und wenig diskutabel, können sich aus Praktikabilitätsgründen auch andere Praxen etablieren. Allerdings erweist sich nicht jede von den formellen Anforderungen abweichende pragmatische Lösung auch als effizient, weil die «Reparatur» unzulässiger Vorgänge oft wesentlich mehr Aufwand (z.B. Widerruf der Ernennungsurkunde, Rückabwicklung von hinkenden oder ungültigen Rechtsgeschäften oder disziplinarische und strafrechtliche Implikationen, Rückgängigmachung einer Falleröffnung in der Geschäftskontrolle einer Berufsbeistandschaft) nach sich zieht als ein von Anfang an korrektes Vorgehen. Die von der KESB geäusserte Vorstellung, eine Beistandsperson könne nach nachträglicher Mitteilung einer erhobenen Beschwerde ihre Arbeit wieder sistieren und das Beschwerdeergebnis abwarten, birgt das soeben angesprochene «Reparatur»-Risiko in sich. Dagegen scheint es entbehrlich, in allen Fällen den Ablauf der Beschwerdefrist (regelmässig 30 Tage plus Abholfristen, vgl. KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, Rz. 5.88 ff.) abzuwarten, bis eine Ernennungsurkunde ausgestellt wird. Abgesehen von der Möglichkeit, die beschwerdeberechtigten Personen zu einem schriftlichen Beschwerdeverzicht zu bewegen, können in Fällen, in welchen nach menschlichem Ermessen nicht mit einer Beschwerde zu rechnen ist und die KESB daher einen Beschwerdeverzicht mit gutem Grund supponieren kann (z.B. Massnahmenanordnung und Ernennung der Beistandsperson aufgrund eines Gesuchs der betroffenen Person und Einvernehmen innerhalb des familiären und sozialen Umfeldes oder Fehlen eines solchen Umfeldes) im Interesse einer beschleunigten Hilfestellung auch vorzeitig Ernennungsurkunden ausgestellt werden, ohne dass einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen werden muss. Es liegt im Ermessen und Verantwortungsbereich der KESB, in so gelagerten Fällen Ernennungsurkunden auszustellen und die damit verbundenen, oben skizzierten «Reparatur-Risiken» zu tragen. Die Beistandsperson muss diesfalls aber davon ausgehen können, dass ihr vorzeitiges Handeln für sie ohne Risiko bleibt, was eine gute und vertrauensvolle Kommunikation zwischen KESB und BB bedingt und transparent als Ausnahmesituation verstanden wird.

Einzelnachweise

  1. Aus der Beratungspraxis der SVBB: Kurt Affolter-Fringeli, Fürsprecher und Notar, Ligerz